Gedenkstättenfahrt Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau (September 2022)

Eigentlich war die Gedenkstättenfahrt nach Krakau und in die Gedenkstätte Auschwitz I sowie Auschwitz Birkenau bereits für 2020 geplant, doch wie so vieles, musste die Fahrt wiederholt verschoben werden, bis sie nun im September 2022 endlich stattfand.

Der SPD Unterbezirk Dortmund und die Auslandsgesellschaft Dortmund hatten sich zusammengetan, um eine Bildungsfahrt nach Krakau und in die Gedenkstätte Auschwitz I und II nach Oświęcim (dt. Auschwitz) zu realisieren. Sie sind beide davon überzeugt, dass die beste Extremismusprävention und demokratische Bildungsarbeit eine lebendige Erinnerungskultur ist. Nachdem ich die Gedenkstättenfahrt gemacht habe, die meine erste war, fühle ich mich bestärkt darin, dass wir jede:r Schüler:in einmal in der Schulzeit den Besuch einer Gedenkstätte ermöglichen müssen.

Demokratie passiert nicht einfach so, sie muss vermittelt werden. Nur wer weiß, welche Freiheit demokratische Gesellschaften für den einzelnen Menschen bedeuten und im Gegensatz dazu, welche Unfreiheit und Grausamkeiten totalitäre Systeme mit sich bringen, kann wertschätzen, was wir haben und sich berufen fühlen aktiv an einer besseren Zukunft für alle mitzuarbeiten. An vielen Stellen gibt es sicher Verbesserungsbedarf, aber wir leben in einem politischen System, in dem wir die Möglichkeit haben es besser zu machen und das eine Einladung ist mitzuwirken.

Ich habe auf den sozialen Netzwerken die Bildungsfahrt begleitet, gezeigt, welche Programmpunkte an den einzelnen Tagen anstanden, Bilder und Eindrücke geteilt. Nicht weil ich glaube, das würde einen Besuch ersetzen. Die Idee dahinter war, dass ich gerne den Vorhang zur Seite ziehen und Menschen, die – wie ich bis vor Kurzem – noch nie an einer Gedenkstättenfahrt teilgenommen haben, zu zeigen, was sie erwartet und wie das Programm aussieht. Hier eine längere Fassung für Interessierte:

Tag 1: Ankunft in Krakau

Auf dem Programm standen am ersten Tag bereits auf der Busfahrt nach Krakau die Einführung in die Geschichte des Landes, der Stadt und die jüdische Geschichte Krakaus. Vor Ort haben wir die Remuh-Synagoge aus dem 16. Jahrhundert, eine der sieben Synagogen in Krakaus jüdischem Viertel Kazimierz, sowie den angrenzenden jüdischen Friedhof besucht. Der Friedhof wurde im 2. Weltkrieg als Mülldeponie genutzt, dabei sind viele der Gräber stark beschädigt worden. Bei der Wiederherstellung des Friedhofes, der der älteste jüdische in Krakau und einer der ältesten europaweit ist, wurden die Bruchstücke von zerstörten Grabsteinen (Matzewas) in die Friedhofsmauer integriert, sodass ihre Symbole weiterhin zu sehen sind. Die Grabsteine, die erhalten sind, sind bis heute Pilgerziele für Jüdinnen und Juden weltweit.

Am Abend haben wir – im Rahmen der Vorbereitung auf die Gedenkstätte am kommenden Tag – die Zeitzeugin Lidia Maksymowicz zu Besuch, die uns zwei Stunden einen Einblick in das Leben im Lager gegeben hat. Ich hatte schon mehrfach die Gelegenheit Zeitzeuginnen und -zeugen zuzuhören, bisher waren es aber immer Menschen, die die Lager als Jugendliche oder Erwachsene erlebt haben. Lidia Maksymowicz kam hingegen im Dezember 1943 schon als Dreijährige nach Auschwitz-Birkenau.

„Die Menschen hatten dort nur solange das Recht zu leben, wie sie arbeiten konnten“, beschrieb sie die erste Selektion an der sogenannten „Judenrampe“ in Auschwitz. Die Schriftstellerin, 1940 in einem Gebiet, das heute zu Weißrussland gehört, geboren, überlebte in Birkenau bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee. Anschließend, erzählte sie, wurde sie von einer Familie aus Oświęcim adoptiert und wollte zunächst gar nichts mit ihrer Geschichte zu tun haben. Doch los wurde sie ihre Erinnerungen nicht. Sie erzählte uns, dass sie ihre Adoptivfamilie bis heute bewundert. „Ich war wie ein verschrecktes Tier. Ich hatte erfrorene Zehen, war unterernährt und schwach. Ich kannte nichts; ein normales Leben, ein warmes Bett, Essen, Kleidung, menschliche Wärme und Nähe, das alles war mir fremd.“ Sie hatte zwar das Lager verlassen, aber der Lageralltag verließ sie nicht. Da er alles war, was sie kannte, spielte sie ihn mit Kindern nach. „Meine neue Familie war schockiert, als sie mitbekamen, was ich spielte. Ich spielte Selektion.“

Doch nach und nach veränderte sie ihre Einstellung zu ihrer Geschichte. Das kam mit der Zeit. Lidia Maksymowicz mahnt, dass sie einen Mangel an Wachsamkeit wahrnimmt, der mit der zunehmenden zeitlichen Distanz kommt. Sie empfindet es deshalb als ihre Mission, Verantwortung und Aufgabe, ein Leben lang die Wahrheit über das Lager zu erzählen. Sie betont, dass ihre Perspektive auf das Lager besonders wichtig ist, denn: „Es gibt viele Berichte von Erwachsenen aus den Lagern, aber wenige von uns Kindern.“

Als Tochter politischer Häftlinge wurde Lidia in Auschwitz als Dreijährige nicht getötet, wie die jüdische Kinder (bis zum 14. Lebensjahr) direkt bei Ankunft ermordet wurden. Aus ihrem Alltag im Kinderblock berichtete sie uns von den Experimenten, die Dr. Josef Mengele und seine Assistenten an den Kindern durchführten.

Auch erzählte sie von der brutalen Trennung von Müttern und Kindern, dem Abschied von den Großeltern an der Rampe, der für immer war, von der Mutter, die immer nachts kam, um ihrer Tochter Essen zu bringen, das Dorfbewohner an der Straße ins Lager für die Häftlinge versteckten und sie sich nur an die Hände ihrer Mutter in diesen Situationen erinnern kann, weil sie so hungrig war.

Die zwei Stunden, in denen uns Lidia Maksymowicz ihre Geschichte erzählte, waren wirklich intensiv und ich habe hier bei Weitem nicht alles wiedergegeben. Nach dem Gespräch bin ich aber zutiefst beeindruckt von dieser Frau, dieser Überlebenden, die weiter erzählt und kämpft gegen das Vergessen. Und ich bin ihr unendlich dankbar. An den Erzählungen von Menschen wird in einer ganz anderen Intensität deutlich, was Fakten allein uns über den Holocaust und die systematische Ermordung von Menschen uns nicht vermitteln können. Unter dem Eindruck dieses Berichts einer Zeitzeugin war der Besuch der Gedenkstätte am zweiten Tag besonders intensiv.

Tag 2: Besuch der Gedenkstätte Auschwitz

„Ich möchte Ihnen eine Aufgabe mitgeben. Kommen Sie wieder und bringen Sie jemanden mit“, schloss unser Guide die Führung durch die Gedenkstätte. Ich war das 1. Mal in einer Gedenkstätte und dann gleich in Auschwitz. Das Lager, das als Symbol für die Vernichtung der europäischen Jüd:innen während des 2. Weltkriegs steht. Ich bin aufgewachsen mit den Bilder von den Gleisen, des Tors mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ und den schier endlosen Stacheldrahtzäunen und Baracken. Ich kenne sie aus dem Unterricht und den Beschreibungen aus Autobiografien von Überlebenden.

Am Tag zuvor noch hatte uns die Zeitzeugin Lidia geschildert, wie an dem Stacheldraht, der das Gelände von Auschwitz I begrenzt und der damals unter Strom stand, die Menschen in großer Zahl Suizid begangen haben, weil sie keinen Ausweg mehr sahen, keine Hoffnung hatten. Doch auch wenn ich vorher viel wusste, viel gelernt, gelesen und gesehen hatte, so gibt es nichts, das den Besuch einer Gedenkstätte ersetzen kann. Vor Ort zu sehen und zu begreifen, was in Fakten nach abstrakten Größen klingt, weil sie so groß sind:

„Entlassen wurden 1.500 Häftlinge aus Auschwitz, geflohen sind 500 Häftlinge. Befreit wurden 8.000 Häftlinge. Insgesamt sind in den Konzentrationslagern Auschwitz mindestens 1.082.000 Deportierte getötet worden oder gestorben. Davon waren 202.000 registrierte Häftlinge und 880.000 nicht registrierte Deportierte.“

Wenn man die Ausmaße der Anlagen sieht, begreift man anders, was das heißt. Auch die Berge von Haaren, Zöpfen, Brillen, Koffer und Schuhen in allen Größen; meine Erzählung und auch Bilder können nicht einfangen, wie beklemmend sich das anfühlt sie zu sehen. Zuerst waren wir im Stammlager Auschwitz I, anschließend auch auf dem 200 Fußballfeld großen Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz Birkenau, wo die Nationalsozialisten die Gaskammern kurz vor Kriegsende sprengten, um die Spuren des Grauens zu vernichten.

Ich kann nicht sagen, was mich am meisten beeindruckt hat. Mir hat es nochmal vor Augen geführt: Alle Autobiografien von Überlebenden, die man heute lesen kann, sind von Menschen geschrieben, die die Ausnahme waren. Sie überlebten. Die Geschichten der anderen sind verstummt oder werden von anderen erzählt.

Als Menschen möchten wir, dass Geschichten fröhlich enden. Wir sind daran gewöhnt, dass durch eine Wendung am Ende alles gut wird. Der Holocaust, Auschwitz hat ein solches Ende nicht. Die Überlebenden haben ein geteiltes Leben, eins vor und eins nach dem Holocaust. Was er aber hat, ist eine Botschaft an alle, die leben. Ich nehme mit, dass ich als Vater und als Politiker viele Menschen dazu bewegen möchte, eine Gedenkstätte zu besuchen. Ich nehme meine Aufgabe und Verantwortung ernst. Und: Ich komme wieder.

(Mittlerweile gibt es Online-Archive, die Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sammeln und so für nachfolgende Generation verfügbar machen. Es lohnt sich, dort mal vorbeizuschauen.)

Tag 3: Abreise

Am letzten Tag der Fahrt haben die Teilnehmenden Zeit gehabt Krakau auf eigene Faust zu erkunden. Die Nachbetrachtung des Gedenkstättenbesuchs hatten wir am Ende des zweiten Tages bei einem gemeinsamen Abendessen im Klezmer-Hois, einem jüdischen Restaurant, in kleinen Gruppen gemacht.

Das Restaurant, das auch einen Verlag beherbergt, ist in den Räumlichkeiten eines ehemaligen rituellen Tauchbades für verheiratete jüdische Frauen (Mikwe) untergebracht.